Was haben eine Liste von Toy Story-Charakteren und das 570-Seelen-Dorf Ernsthausen in Mittelhessen gemeinsam? Ihre Wikipedia-Seiten gehören zu denen, die aus den Servern von Bundesbehörden am häufigsten geändert werden. Die Plattform „Bundesedit“ dokumentiert Wikipedia-Änderungen aus den Netzen der Bundeseinrichtungen. Teilweise handelt es sich um zusätzliche Quellen und Korrekturen von Schreibfehlern, häufig jedoch auch um eindeutig frisierte Biografien.

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia wird aus dem Bundestag rege bearbeitet. Insgesamt 1632 Änderungen wurden anonym in der laufenden Legislaturperiode aus den Netzen des Parlaments und weiterer Bundesbehörden an der Wikipedia vorgenommen (Zeitraum 24.10.2017–30.01.2019). Bei Abgeordneten-Biografien wird korrigiert, bei kontroversen Themen mitunter auch um Deutungshoheit gerungen. Das erfasst die Plattform „Bundesedit“ auf Twitter. In der Breite scheint es sich bei den „Bundesedits“ zumeinst nur um kleine Änderungen zu handeln. Immer wieder werden aus dem Netz des Bundestags aber auch lange Textpassagen geändert, ersetzt oder missliebige Stellen gelöscht.

Darüber wacht eine Wikipedia-Community, die ehrenamtlich für die Neutralität der meistgenutzten Online-Enzyklopädie einsteht und unsachliche Änderungen umgehend rückgängig machen soll. Meistens stehen tendenziöse Änderungen und Löschungen nur wenige Minuten im Netz, bevor Administratoren sie wieder entfernen.

Bundesedit: Parlaments-Wikipedianern auf der Spur

Das Projekt „Bundesedit“ ging im Jahr 2014 an den Start. Seitdem kündigt es auf Twitter jede anonyme Änderung der Wikipedia durch eine IP-Adresse aus dem Netz einer Bundesbehörde an.

Die IP-Adressen des Bundestages lassen sich nachverfolgen. Viele Änderungen an den Seiten Abgeordneter verschiedener Fraktionen stammen etwa von der IP-Adresse 193.17.232.2, die auf das Parlament gemeldet ist. Wie der BR vor der Bundestagswahl 2017 detailliert analysierte wurden etwa ein Drittel aller Abgeordneten-Biografien aus dem Parlaments-Netz bearbeitet: Darunter teils einfache Tippfehler, aber auch lange Textpassagen.

Doch einige Einschränkungen sind zu beachten: Erstens lässt sich daraus nicht ablesen, ob eine Änderung faktischer Natur, wohlwollend oder gar bösartig war. Zweitens lässt sich der Umfang des Edits nicht erkennen – ob es sich etwa um ein einziges Satzzeichen oder ganze Absätze handelt. Drittens sind nur solche Änderungen aufgeführt, die anonym angelegt wurden – die IP-Adresse wird bei angemeldeten Wikipedia-NutzerInnen nicht öffentlich festgehalten. Viertens gibt der Datensatz nicht an, ob die Änderungen von einem bestimmten Abgeordnetenbüro stammen, oder von einer anderen Stelle im Parlament. Fünftens können Abgeordnete und MitarbeiterInnen über eigene Wikipedia-Accounts oder über andere Netze wie etwa ihr Mobiltelefon jederzeit Änderungen vornehmen, ohne von Bundesedit erfasst zu werden.

Änderungen aus dem Bundestag

Wikipedia ist die siebt-beliebteste Website der Deutschen und dient allgemein als erste Anlaufstelle des Nachschlagens im Internet. Mitunter haben Wikipedia-Seiten von Abgeordneten mehr Zugriffe, als ihre persönlichen Websites – Und deshalb haben Abgeordnete ein besonderes Interesse an der faktischen Richtigkeit ihrer Wikipedia-Seite.

Die Biografie des CDU-Abgeordneten Albert Weiler etwa wurde seit 2015 insgesamt neunmal „anonym“ aus dem Parlament bearbeitet. Damit liegt er unter seinen Kolleginnen und Kollegen auf Platz vier. Der Thüringer Abgeordnete nimmt Wikipedia als Öffentlichkeitsarbeit wahr. „Ich habe gemerkt, dass sich die Menschen für mich interessieren und bei der Suche nach Informationen neben meiner persönlichen Website auch den Wikipedia-Artikel zu meiner Person lesen,“ kommentiert der 53-Jährige. Er sieht an sachlichen Korrekturen und Erweiterungen seines eigenen Wikipedia-Eintrags nichts Verwerfliches, im Gegenteil: „Mir ist wichtig, auf Wikipedia transparent zu sein – dazu gehört ein vollständiger Artikel, der auch regelmäßig aktualisiert werden sollte.“ Tatsächlich wurden auf seiner Seite umfangreiche Änderungen aus dem Netz des Bundestages vorgenommen, die in weiten Teilen noch auf der heutigen Wikipedia-Seite fortbestehen.

In eine zweite Gruppe fallen kritische Änderungen von politisch umstrittenen Themen. Im Eintrag des Landes Sachsen wurde das Unterkapitel „Rassismus“ am 25. April 2018 vollständig gelöscht. Es dauerte nur eine Minute, bis ein weiterer anonymer Wikipedia-Nutzer die Löschung wieder rückgängig machte. Auch das schlechte Abschneiden Andrea Nahles‘ bei der SPD-Vorsitzendenwahl im April 2018 wurde Ende Oktober 2018 von ihrer Seite aus dem Netz des Bundestags gelöscht – Was der Followerschaft von Bundesedit nicht entging. Zwei Minuten später war der Abschnitt wieder eingefügt.

„Hallo I bims, eins netter Mensch“

Ebenfalls beachtlich ist die Zahl der Änderungen an nicht-politischen Artikeln aus dem Netz der Bundesbehörden. Dem Eintrag des US-Rappers Lil‘ Wayne wurde am 23. November 2018 der Spitzname „Plaumi 15“ aus dem Netz des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hinzugefügt. Das BSI verwaltet die Netze vieler Bundesbehörden, darunter auch die Ministerien. Im Artikel „Zeit des Nationalsozialismus“ wurde ebenfalls über den BSI-Anschluss eine kleine Nachricht eingefügt: „Hallo I bims, eins netter Mensch von nebenan. I habe LW“ [Langeweile, Anm. d. Red.]. Wer sich hinter den Änderungen – oder dem Pseudonym „Plaumi 15“ verbirgt, bleibt ungewiss. Interessante Muster birgt der Bundesedit-Datensatz dennoch: Daten-Analyst Volker Eichhorn erkannte, dass Freitags im Parlamentsnetz nur noch rund 60% so viele Änderungen vorgenommen werden, wie an den übrigen Arbeitstagen. Ob dahinter Reisen in den Wahlkreis, Langeweile oder ein verfrühter Dienstschluss mit Ausblick aufs Wochenende stehen, ist aus den Daten nicht ersichtlich.


Foto: Wikimedia Israel (CC BY-SA 2.0)