Im Frühjahr herrschte Verwirrung über Unterschiede zwischen Daten der UN und des Außenministeriums in Sachen deutscher Beteiligung an Blauhelm-Missionen. Wie kam es zu diesem Missverständnis, welche Konsequenzen hat das für das deutsche Engagement bei der UN und hat sich seitdem etwas geändert?

Am 28. März 2018 trat Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) in New York vor die wartenden Pressevertreter, um ein klares Signal in das UN-Hauptquartier hinter ihm zu senden: Deutschland wolle mehr Verantwortung übernehmen. Konkret: einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat. „Deutschland ist der zweitgrößte Einzahler bei den Vereinten Nationen und wir sind der zweitgrößte Truppensteller“, behauptete Maas.

Doch die Statistiken der UN zeigen: Deutschland lag damals weltweit auf Platz 34 der UN-Truppensteller, in Europa auf Platz drei. Also weit ab vom zweiten Platz, den Maas – wohl mit einem Versprecher – beanspruchte. Auf Nachfrage des ARD-Korrespondenten Arnd Henze korrigierte das Auswärtige Amt: Man sei zweitgrößter Truppensteller in Europa. Auch das stimmte damals aber nicht mit den Zahlen der Vereinten Nationen überein: Im März war Deutschland in absoluten Zahlen knapp hinter Frankreich drittgrößter, heute viertgrößter europäischer Beitragsstaat. Weltweit rangiert Deutschland somit heute auf Platz 35 der Truppensteller – laut UN-Daten. Henze veröffentlichte in der ARD-Sparte „Faktenfinder“ unter dem Titel „Zahlentrickserei bei Friedensmissionen“ eine Erläuterung der Lage.

Die Erklärung dieser Ungereimtheiten: Die Bundesregierung folgt ihrer eigenen Zählmethode, welche „nationale Unterstützungselemente“ einschließt – und damit weit über den Zahlen der UN liegt. Die UN-Zahlen hingegen basieren auf den eigenen Zahlungsbüchern: Da die Weltorganisation über keine eigenen Truppen verfügt, entschädigt sie die Entsendländer pro Monat mit 1428 US-Dollar pro Soldat.[1]

Unter die Kategorie „nationale Unterstützungselemente“ fallen laut dem Wehrbeauftragten des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), neben zusätzlichem Schutz für Soldaten auch das Personal der Wäscherei, der Feldpost und anderem. Eine genaue Zahl gibt es hier von der Bundesregierung nicht. Wir versuchen im Folgenden, diese Zahl zu schätzen.

Das Außenministerium erklärt auf seiner Website unter der Überschrift „Deutsches personelles Engagement bei UN-Friedensmissionen“, dass „aktuell rund 3.500 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und rund 130 Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte bei internationalen Friedensmissionen eingesetzt [sind].“ Diese Daten passen nicht zur eigenen Schlagzeile, denn in der aktuellen Aufstellung der UN sind von diesen 3.316 Soldatinnen und Soldaten[2] lediglich 631 verzeichnet.[3]

Das hat zwei Gründe: erstens sind auch hier „nationale Unterstützungselemente“ mit inbegriffen, zweitens zählt das Außenministerium hier missverständlich auch solche Missionen hinzu, die nicht unter der Fahne der UN entsandt werden. Dazu zählt insbesondere die NATO-Mission „Resolute Support“ in Afghanistan, an der sich Deutschland mit derzeit 1019 Soldaten und 74 Soldatinnen beteiligt.[4] Diese Missionen haben zwar ein UN-Mandat, sind aber keine Blauhelm-Einsätze unter dem Kommando der UN.

Von den 3.316 deutschen Soldatinnen und Soldaten, die das Verteidigungsministerium (BMVg) aufführt, finden sich also 631 in den UN-Angaben. Weitere 2344 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind auf nicht-UN-Mission, etwa in Afghanistan oder am Horn von Afrika. Demnach müssten die übrigen 341 Deutschen unter den Begriff „nationale Unterstützungselemente“ auf UN-Mission gefasst sein. Für den nationalen Vergleich ist diese Zählmethode samt Unterstützungselemente unproblematisch, für den internationalen Vergleich können aber schnell Missverständnisse entstehen.

Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Mitglied im Verteidigungsausschuss und Sprecherin ihrer Partei für Verteidigungspolitik, ist das bedenklich. „Die Bundesregierung darf natürlich nicht mit falschen Zahlen hausieren gehen“, meint sie. „Es gibt Definitionen auf UN-Ebene, die eine Vergleichbarkeit ermöglichen sollen.“ Doch durch die Hinzurechnung von „nationalen Truppenelementen“ geht eben diese internationale Vergleichbarkeit verloren, weil aus den anderen UN-Mitgliedsstaaten, die solche Unterstützungselemente nutzen, keine exakten Zahlen vorliegen.

Jaïr van der Lijn forscht seit Jahren für das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI zum Thema Vereinte Nationen. „Fast nur die zentraleuropäischen Länder schicken solches Personal mit auf die Friedensmissionen“, erklärt er. Das liege vermutlich auch daran, dass die Kosten so steigen würden – und dass das Entsenden auf UN-Missionen damit teurer wird. „Für Deutschland ist das ein Minusgeschäft, für andere Länder nicht“, bestätigt Wehrbeauftragter Bartels. Doch für van der Lijn ist das eine gefährliche Entwicklung. „Das ist symptomatisch für ein bedenkliches Ungleichgewicht in der Organisation: Eine Gruppe hat die Macht, eine andere bezahlt und eine dritte entsendet – Deutschland gehört primär in die zweite Gruppe.“

Bei der Bewerbung um den nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat 2019–20 nutzte die Bundesregierung so Zahlen, die weit über den Zahlen der UN lagen. Auch jetzt, nach erfolgreicher Bewerbung, bleibt der Wehrbeauftrage Bartels den UN-Zahlen gegenüber kritisch. „Die sind oft nicht aktuell und manchmal unvollständig“, bemängelt er. Ein Argument, dass Friedensforscher van der Lijn ablehnt. Die Beteiligung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat begrüßt er trotzdem.

„Deutschland sollte seine Chance im UN-Sicherheitsrat nutzen und der Welt zeigen, dass wir uns auch stärker für die internationale Sicherheit engagieren wollen“, meint FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann. „Aber zur Ehrlichkeit gehört dann eben auch dazu, festzustellen, dass wir hierbei noch nicht so weit sind, wie wir es uns gerne wünschen.“


[1] Stand: 1. Juli 2018

[2] In diesem Link steht ein Gesamtkontingent von 3.314, die Summe der Tabelle ergibt allerdings 3.316.

[3] Stand: 27.08.2018 bzw. 31.07.2018; 604 „Troops“ und 27 Stabsoffiziere in den UN-Daten; im folgenden ist Polizei- sowie sonstiges Expertenpersonal nicht mitinbegriffen.

[4] Stand: 27.08.2018


Foto: © Bundeswehr/Jane Hannemann