Harte Hunde und väterliche Diplomaten: Männliche Stereotype gehören in der deutschen Politik zum Alltag. Während immer mehr Frauen Ämter auf Bundes– und Landesebene bekleiden, bleiben dabei manche Kernressorts absolute Männersache. Eine Außenministerin gab es noch nie, und kein Land hat eine Innenministerin. Hilft da nur noch eine Quote?
Breitschultrig posieren die neun grinsenden Herren in ihren etwas schiefsitzenden Anzügen für die Kamera. Noch ein Pressetermin, dann übernehmen sie für die kommenden vier Jahre gemeinsam das Bundesministerium des Innern. Nach dem Pressetermin steht aber noch etwas anderes an: ein Shitstorm. Tagelang bespricht die deutsche Presse das Bild, attestiert Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ein antiquiertes Verständnis von ebenjener „Heimat“ Deutschland, die das neuausgerichtete Ministerium vertreten soll. Und ein überholtes Rollenverständnis, das er in den Augen seiner Kritiker beim darauffolgenden Auftritt gleich noch einmal unter Beweis stellt: Stolz erzählt er, diesmal eine Frau als Assistentin mitgebracht zu haben, damit sich alle nicht mehr so aufregen müssten.
Wenige bis keine Frauen: Das trifft nicht nur auf die Führungsriege des neuen Heimatministeriums zu, es beschreibt auch viele Bereiche der Spitzenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland seit der Wiedervereinigung 1991. Keine einzige Innenministerin, keine Außen-, Finanz-, und Verkehrsministerin, so lautet die traurige Bilanz der vergangenen 25 Jahre. Seit dem Shitstorm wird nun öffentlich darüber debattiert, wie das Problem in Zukunft zu lösen sei. Im Bundestag wollen sowohl Oppositions– als auch Regierungspolitiker eine parlamentarische Debatte über eine Frauenquote für gewählte Ämter anregen. Dabei zeigen die Zahlen der Ministerposten, dass das Problem sowohl auf Bundes- als auch Landesebene nicht nur ein quantitatives, sondern vor allem ein qualitatives ist.
Das Seehofer-Bild und die aus ihm entstandene Debatte erwecken gelegentlich den Eindruck, dass sich in Sachen Gleichberechtigung wenig in der deutschen Politik getan hat. Ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt ein anderes Bild. Obwohl der Anteil der weiblichen Bundestagsabgeordneten heute so niedrig ist, wie seit 1998 nicht mehr, gibt es inzwischen sehr viel mehr Ministerinnen: Waren es in der letzten Amtszeit Helmut Kohls (CDU) noch unter 15%, sind es inzwischen fast 50%. Trotzdem sind die Ressorts ungleich verteilt, und das nicht nur im Bund, sondern auch in den amtierenden Landesregierungen. Alle 16 Landesinnenminister sind Männer. Ähnlich verhält es sich in den Wirtschaftsressorts (3 aus 17) und bei den Ministerpräsidentinnen (2 aus 16). Hohe Frauenanteile haben hingegen die Konferenzen für Gleichstellung (14 aus 16) und Gesundheit (11 aus 16).
In Bundes- und Landespolitik lässt sich damit festhalten, dass die Beteiligung von Frauen langsam zunimmt. Dennoch bleiben Frauen in aller Regel eine Reihe von Portfolios verschlossen. Die fehlende Beteiligung von Frauen ist deshalb nicht nur ein Problem des absoluten Frauenanteils in Regierung und Parlament in Bund und Ländern – diese steigen tatsächlich langsam an – sondern eben auch eines der Rollenzuweisung.
Cornelia Möhring (LINKE), frauenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, weist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Teil der Schuld an diesem Ungleichgewicht zu. „Frau Merkel steht für eine Politik der CDU/CSU mit wechselnden Koalitionspartner*innen, die Frauen nicht ausreichend die Positionen zugestehen, die sie angemessen berücksichtigen“, meint sie. Als Lösung schlägt Möhring ein Paritätsgesetz vor, das „eine gesetzliche Regelung zur Steigerung des Frauenanteils in Wahlmandaten“ bieten soll. Dies würde nicht nur den Frauenanteil im Parlament steigern, sondern damit auch die Zahl der Kandidatinnen für Ministerämter erhöhen (abgesehen von solchen, die nicht Abgeordnete sind). Die Fraktion der Linken im Bundestag sieht die Regierung hierzu in der Pflicht, schließlich sei seit 1994 eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Grundgesetz Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 verankert.
Marcus Weinberg, frauenpolitischer Sprecher der CDU im Bundestag, hält hingegen ein Paritätsgesetz für eine schlechte Lösung. „Auch ich wünsche mir mehr Frauen in der Politik, es ist aber nicht die Aufgabe des Gesetzgebers, durch ein Gesetz das Geschlechterverhältnis in den Parlamenten festzuschreiben.“ Er befürchtet eine Gefährdung der Freiheit des Wählers.
Tatsächlich wurden gesetzliche Maßnahmen in diese Richtung bereits umgesetzt. Das Berliner Abgeordnetenhaus nahm im März 2018 bei Enthaltung der CDU und gegen die Stimmen der FDP und AfD einen Antrag für ein Paritätsgesetz an – wenn auch nur mit einer Stimme Mehrheit. Derzeit prüft der Wissenschaftliche Dienst des Abgeordnetenhauses, ob das tatsächlich mit der Verfassung vereinbar ist. Die Fraktion der Grünen in Brandenburg stellte ebenfalls im Februar 2018 einen Gesetzesentwurf vor, der die Parteien zu einem „Reißverschlussprinzip“ verpflichten will: Die Kandidatenlisten sollen abwechselnd von Frauen und Männern besetzt werden. Die Kasseler Juristin Silke Ruth Lasowski hat den Entwurf miterarbeitet. „Ein echtes paritätisches Wahlrecht betrifft das Nominierungsverfahren der Kandidatinnen und Kandidaten“, meint sie. „So setzten wir direkt beim erkennbaren Problem der strukturellen Benachteiligung an“. Wenn weniger Frauen als Männer zur Wahl stehen, werden meistens auch weniger gewählt.
Ob es auf Bundesebene zu einem solchen Gesetz kommen könnte, bleibt besonders bei Verfassungsrechtlern umstritten. Laskowski sieht im Grundgesetz kein Hindernis, im Gegenteil. „Sollte es sich um eine Regelung handeln wie in dem Brandenburger Entwurf von den Grünen, besteht kein Grund zur Sorge.“ Inzwischen hat Laskowski zwei Verfahren angestoßen. Eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichthofs, der ein Paritätsgesetzentwurf zurückgewiesen hatte. Und eine Wahlprüfbeschwerde gegen die geringe Frauenquote im Bundestag nach der Wahl 2018. Besonders hohe Chancen rechnet sie sich nicht aus, aber das ist auch nicht ihr einziges Ziel. „Nun besteht endlich die Chance, in Sachen ‚paritätisches‘ Wahlrecht mithilfe des Bundesverfassungsgerichts größere rechtliche Klarheit zu gewinnen“, meint sie.
Aber selbst wenn eine Quote für mehr weibliche Abgeordnete in den Parlamenten sorgen könnte, würde das nur einen Teil des Problems treffen: Manche Ressorts bleiben Frauen weiterhin verwehrt. Für Linken-Abgeordnete Möhring sind es vor allem Klischees, die diese Rollenverteilung etabliert haben: „Der Innenminister muss ‚den harten Hund‘ geben, der Außenminister den ‚väterlichen Diplomaten‘, der Finanzminister den ‚konsequenten Sparfuchs‘, dem man sein erotisches Verhältnis zur schwarzen Null abnimmt“, sagt sie. Um das in Zukunft gesetzlich zu ändern, müsste das Bundesministergesetz geändert werden. Es regelt das Vorschlagsrecht der Bundeskanzlerin für die Minister. „Hier wird eine Regelung nicht mehr vorgeben können als eine ausgeglichene Männer-Frauen-Relation“, meint Laskowski. Ein wenig Hoffnung auf Wandel hat sie trotzdem. „Das Bundesverteidigungsministerium etwa scheint seit Kurzem keine Männerdomäne mehr zu sein.“
Das betont auch der Bundestagsabgeordnete Weinberg (CDU). „Deutschland wird an der Spitze von einer Frau regiert und unsere Bundeskanzlerin hat mit Ursula von der Leyen eine Frau zur Ministerin für den traditionell von Männern dominierten Bereich der Verteidigung ausgewählt“, meint er. Auch er hoffe auf Veränderung. „Es bleibt unser Ziel, mehr Frauen an den Spitzen von Ministerien zu haben, die traditionell von Männern geführt werden.“ Das trifft demnach auch auf das Innenministerium zu. Dort sitzen weiterhin neun Männer an den zentralen Hebeln. Doch ein wenig Bewegung hat der Shitstorm doch bewirkt: Das Bild wurde derweil gegen ein neutraleres der Außenfassade getauscht.
Foto: Wade Rocket via Flickr (CC BY-ND 2.0)