Russland 2018, Europa 2020, Nordamerika 2026: Sportliche Großereignisse mit verteilten Spielorten sind keine Seltenheit mehr. Eine Analyse der Fußball-WM zeigt, dass diese Entwicklung für das Klima gefährlich ist – und vielleicht auch an der Niederlage Kroatiens im Finale mitschuldig ist.
Von Felix Heilmann
Mit dem 4:2 Frankreichs gegen Kroatien endete am vergangenen Sonntag eine WM, die sportlich umkämpft war und so manche Überraschung mit sich brachte. Doch am Abend des 15. Juli herrschte Eintracht im Moskauer Luschniki-Stadion: Die Enttäuschung der Kroaten war schnell der Freude über das außerordentlich gute Abschneiden gewichen und die französischen Fans feierten ihre Helden.
Fast um die halbe Welt geflogen
Dennoch wird sich in diesen Tagen so mancher kroatische Fan die Frage stellen: Wieso hat es am Ende nicht gereicht? Es mag am kroatischen Weg ins Finale liegen, der über drei gespielte Verlängerungen, also quasi ein gesamtes zusätzliches Spiel von 90 Minuten, führte. Doch die kroatischen Spieler standen nicht nur am längsten auf dem Platz: Eine Analyse der Lage aller Trainingslager und Spielstätten dieser WM sowie der entsprechenden Reiserouten zeigt, dass das Team innerhalb Russlands mit Abstand die meisten Kilometer in der Luft zurückgelegt hat.[1]
Insgesamt flog das kroatische Team etwa 14.500 Kilometer und verbrachte beinahe 28 Stunden in der Luft – knapp 1.000 Kilometer mehr als das zweitmeistgereiste Team aus Schweden, und über acht Stunden länger als die französischen Finalgegner. Die geringste Flugzeit sammelte, trotz Achtelfinaleinzugs, die kolumbianische Nationalmannschaft, welche lediglich fünfeinhalb Stunden über den Wolken verbrachte. Ein durchschnittliches Team legte während der WM eine Flugstrecke von über 7.000 Kilometern zurück – ungefähr die Distanz eines Fluges von Berlin nach Peking und damit eine nicht zu unterschätzende Belastung für Teams, die in einem sportlichen Hochleistungswettbewerb stehen.
WM produziert über 2 Millionen Tonnen CO2
Und diese Belastung trifft nicht nur die Mannschaften: Kein Reisemittel gefährdet das Klima so sehr wie das Flugzeug. Über 100 Tonnen CO2 haben die Teams aus Dänemark, Belgien, England, Brasilien, Schweden und Kroatien jeweils durch ihre Reisen innerhalb Russlands verursacht. Und diese Rechnung berücksichtigt weder die mitreisenden Trainer, Funktionäre und Lebenspartner der Spieler, noch die Anreise aus ihrem Heimatland. Zum Vergleich: Ein Berufspendler stößt mit dem Auto 1,5 Tonnen CO2 aus – im Jahr. Auf der Sonnenseite der Klima-Tabelle steht Argentinien, dessen Nationalelf sich Klimaschutz-Weltmeister nennen kann: Das Team schaffte es, mit vergleichsweise geringen 20 Tonnen CO2-Ausstoß erhobenen Hauptes vom Platz zu gehen, dicht gefolgt vom kolumbianischen Team mit 21 Tonnen.
Insgesamt hinterlässt die gesamte Fußballweltmeisterschaft, nach Angaben der FIFA, einen ökologischen Fußabdruck von über 2 Millionen Tonnen CO2 – ungefähr so viel wie das vier-Millionen-Einwohner-Land Kroatien in einem ganzen Monat ausstößt. Auch wenn die FIFA sich selbst das Ziel gesetzt hat, bis 2050 emissionsneutral zu werden, scheint sie davon noch weit entfernt zu sein: Ein freiwilliges „Offsetting“-Programm, welches Klimaschutzmaßnahmen fördert um die negativen Effekte des Turniers zu kompensieren, ist auf 100.000 Tonnen CO2 beschränkt. Zumindest ihre eigenen Flugreisen könnten die Teams dabei leicht selber kompensieren und somit einen ersten Schritt in Richtung Klimaschutz übernehmen: Die Kompensation der Emissionen des 23köpfigen Teams der kroatischen Nationalmannschaft, dem Schlusslicht in der Klima-WM, würde lediglich 3.404€ kosten – ein geringer Betrag für ein Team, das für seinen zweiten Platz 24 Millionen Euro von der FIFA erhält.
Diese Zahlen zeigen, dass Umweltfolgen einer WM nicht immer direkt sichtbar sind – und, wenn zukünftige Turniere erneut von wichtigen Diskussionen um ihre sozialen und ökologischen Folgen begleitet werden, nicht vergessen werden sollten. Das gilt insbesondere in Anbetracht des gegenwärtigen Trends zu immer größeren Distanzen zwischen den Spielstätten. Die FIFA hat sich zwar ein Klimaziel für 2050 gesetzt, steht auf dem Weg dorthin aber noch vor vielen Herausforderungen. Da Klimaschutz, ebenso wie Fußball, ein Teamsport ist, können die nationalen Verbände auf diesem Weg eine entscheidende Rolle spielen. Und wer weiß: Vielleicht würden wir heute einen anderen Weltmeister feiern, wenn das kroatische Team weniger im Flugzeug gesessen hätte.
Text: Felix Heilmann
Daten und Grafiken: Einfacher Dienst
Foto: Thomas Gerhard via Flickr, CC BY-ND 2.0
Berechnungsbasis: flight-durations.com; atmosfair.de; FIFA
[1] Hier sind die jeweils letzten Rückflüge der Mannschaften zurück in ihr Trainingslager, z.B. nach dem WM-Finale oder nach dem Ausscheiden in der Gruppenphase, mit einbegriffen.
Mannschaft | Gesamt CO2 (Tonnen) |
Gesamt Flugzeit (Stunden) |
Gesamtdistanz (Kilometer) |
Wie weit gekommen | |
Kroatien | 144.1 | 28.0 | 14,500 | Finale | |
England | 120.8 | 23.0 | 11,600 | Spiel um Platz 3 | |
Belgien | 107.0 | 22.3 | 10,800 | Spiel um Platz 3 | |
Brasilien | 126.4 | 21.6 | 13,200 | Viertelfinale | |
Schweden | 128.0 | 20.8 | 13,500 | Viertelfinale | |
Frankreich | 101.5 | 19.4 | 9,200 | Finale | |
Dänemark | 76.5 | 17.3 | 10,000 | Achtelfinale | |
Schweiz | 88.3 | 16.2 | 9,300 | Achtelfinale | |
Ägypten | 84.6 | 15.3 | 9,100 | Gruppenphase | |
Uruguay | 87.1 | 15.1 | 8,000 | Viertelfinale | |
Spanien | 73.2 | 15.1 | 8,900 | Achtelfinale | |
Nigeria | 82.1 | 15.0 | 9,000 | Gruppenphase | |
Japan | 56.8 | 12.9 | 6,000 | Achtelfinale | |
Saudi-Arabien | 75.0 | 12.8 | 7,300 | Gruppenphase | |
Südkorea | 73.0 | 12.8 | 7,300 | Gruppenphase | |
Polen | 68.0 | 12.7 | 7,100 | Gruppenphase | |
Peru | 61.5 | 11.7 | 6,700 | Gruppenphase | |
Portugal | 61.9 | 11.5 | 6,600 | Achtelfinale | |
Mexiko | 64.6 | 11.5 | 6,500 | Achtelfinale | |
Marokko | 56.8 | 10.9 | 5,500 | Gruppenphase | |
Russland | 56.2 | 10.7 | 5,700 | Viertelfinale | |
Serbien | 56.3 | 10.1 | 6,000 | Gruppenphase | |
Island | 45.7 | 9.9 | 4,500 | Gruppenphase | |
Iran | 38.7 | 9.7 | 3,700 | Gruppenphase | |
Senegal | 48.8 | 9.5 | 5,200 | Gruppenphase | |
Deutschland | 41.0 | 8.2 | 4,300 | Gruppenphase | |
Costa Rica | 47.3 | 7.8 | 4,600 | Gruppenphase | |
Argentinien | 29.7 | 7.2 | 3,300 | Achtelfinale | |
Panama | 32.2 | 7.1 | 4,300 | Gruppenphase | |
Tunesien | 28.6 | 6.2 | 2,900 | Gruppenphase | |
Australien | 21.0 | 6.1 | 3,500 | Gruppenphase | |
Kolumbien | 20.5 | 5.4 | 2,100 | Achtelfinale |