Die Sommerinterviews 2019 sind fast abgeschlossen und der Vergleich mit 2018 zeigt: Umwelt löst Flucht und Asyl als Hauptthema ab. Daneben dominieren weiterhin Personal- und Parteifragen. Für eine Vielfalt an Sachthemenscheint in den Sommerinterviews von ARD und ZDF kein Platz zu sein.
Zwar stehen noch drei der 14 Sommerinterviews aus, die ARD und ZDF diesen Sommer mit SpitzenpolitikerInnen führen. Inzwischen sind aber Gespräche mit VertreterInnen aller Parteien geführt worden. Vor den finalen Interviews am Wochenende bietet sich damit die Chance eines ersten Resümees.
2018 ging es um Flucht und Asyl, 2019 um die Umwelt
Das Thema Flucht und Asyl – letztes Jahr unstrittiger Spitzenreiter – rangiert bisher auf Platz Sieben, noch hinter Fragen zu Demokratie, Rechtstaatlichkeit und zur Arbeit der Bundesregierung. 2018 widmeten die JournalistInnen und PolitikerInnen 29% der Interviewzeit dem Thema, 2019 sind es bisher nur etwa 3%.
Dafür wird ein anderes Thema besonders beachtet: die Umwelt. 24% der gesamten Redezeit entfiel auf Diskussionen zum Klimawandel, möglichen Lösungsansätzen und Gesetzesänderungen. Auch bei Fragen zur Wirtschaft und Digitalisierung, mit deutlichen geringeren 7,5% auf dem dritten Platz, zielten die Fragen gelegentlich auf den wirtschaftlichen Effekt des Klimawandels.
Viele Themen kommen kaum vor
Auf den hintersten Rängen tat sich hingegen nicht viel: Familien-, Bildungs- und Gesundheitspolitik bleiben weiterhin unter der 1%-Marke. Auch die Außen- und Verteidigungspolitik blieb bei 5–6% relativ konstant. Die klare Dominanz von Migration (2018) und Umwelt (2019) lässt die Vermutung zu: Für mehr als ein Thema ist in den Sommerinterviews kaum Platz. Das könnte sowohl auf die geringe Zeit (15 bis 20 Minuten pro Gespräch) als auch auf eine thematische Verengung der politischen Debatte in Deutschland zurückzuführen sein.
Diese Schwerpunkte zeigen teilweise große Unterschiede zu aktuellen Meinungsumfragen nach wichtigen Themen. In einer Erhebung zur Landtagswahl in Sachsen des MDR durch infratest dimap zählten Bildung und soziale Ungerechtigkeit zu den „wahlentscheidenden“ Themen. Gemessen an diesen Umfragen kommen 2019 wie bereits 2018 insbesondere solche Themen zu kurz, die den Alltag vieler Menschen bestimmen – etwa Bildung, Gesundheit, bezahlbarer Wohnraum oder Altersarmut. Zwar liefern „Wichtige Themen“-Umfragen dieser Art häufig unterschiedliche Ergebnisse, je nach Wortwahl und Antwortmöglichkeiten. Dennoch fällt auf, dass, wie schon im Vorjahr, wichtige Themen in den Sommerinterviews kaum Erwähnung fanden.
Die „Spirale des Zynismus“ scheint ausgesetzt
Das für einige Sachthemen keine Zeit blieb lag auch am Fokus auf einen Themenbereich in den vordersten Rängen: Die eigene Partei und Person. Dieses Jahr lag der Anteil sogar noch höher als 2018 und mit 36% der Redezeit auf dem ersten Platz. Die Talfahrt der SPD, die Nachfolge Angela Merkels in der CDU und die neue Popularität der Grünen in den letzten Monaten zeigen, wie dynamisch das deutsche Parteiensystem derzeit ist.
Einigen der Interviewten missfiel dieser Fokus auf Personal- und Parteifragen. Christian Lindner (FDP) etwa bat während des Interviews mit dem ZDF um mehr Sachfragen, auch Manuela Schwesig (SPD) positionierte sich offensiv gegen die parteistrategischen Fragen von ZDF-Journalistin Shakuntala Banerjee: Fast zwei Drittel ihres Sommerinterviews ging es um schlechte Umfragewerte und die offene Führungsfrage der SPD.
Auch in den Interviews mit Katja Kipping (Die LINKE), Dietmar Bartsch (DIE LINKE) und Jörg Meuthen (AfD) ging es mit rund der Hälfte der Interviewzeit vor allem um Fragen zu Umfragewerten, Flügelkämpfen und Führungsansprüchen. Das Risiko einer „Spirale des Zynismus“ durch eine solche Berichterstattung beschrieben 1997 die Politik- und KommunikationswissenschafterInnen Joseph N. Cappella and Kathleen Hall Jamieson: Wenn Politik medial zunehmend als ein Spiel statt als das Ringen um Sachfragen dargestellt wird, führe dies zu Enttäuschung und abnehmender Wahlbeteiligung. Zwar steigt derzeit die Wahlbeteiligung bei Wahlen auf allen Ebenen, während die vielbeschworene Politikverdrossenheit sinkt. Dennoch: Dass es auch 2019 wieder viel um parteistrategische Erwägungen geht und wichtige Sachthemen kaum berührt werden ist auch eine verpasste Chance, den PolitikerInnen aller Parteien in wichtigen Zukunftsfragen auf den Zahn zu fühlen.
Daten: Eigene Kodierung der Sommerinterviews in 17 Kategorien aus Außen-, Innen- und Parteienpolitik (Rot, Blau und Gelb). Eine allgemein gültige Zuteilung ist bei qualitativen Daten wie diesen nicht vollständig möglich. Selbstverständlich können politische Debatten mehrere Schwerpunkte haben. Dennoch wurde versucht, den Tenor der jeweiligen Stellen in ein Thema zusammenzufassen. Ausschlaggebend für die Zuteilung waren (1) die Herleitung und (2) der Grundtenor der Fragen und Antworten. Um dieser Komplexität annähernd gerecht zu werden, kodieren wir bei Bedarf einzelne Fragen oder Antworten Satz für Satz nach angesprochenem Thema. Die Kodierung dieser Daten wurde von drei Personen vorgenommen.
Foto: Screenshots der ARD/-ZDF-Sommerinterviews 2019