Nach dem Krieg kommt der Frieden: Um den Ruf als Kriegstreiber des 20. Jahrhunderts einerseits und die heraushaltende „Politik des Scheckbuchs“ andererseits abzulegen, möchte die Bundesregierung seit 2013 mehr friedenspolitische Verantwortung übernehmen. Hält die Bundesregierung unter Angela Merkel ihr Versprechen?

29. Juni 2018, Bamako. Während wenige Meter weiter die Bürger Malis ihre Stimme in der anstehenden Präsidentschaftswahl abgeben, beobachten UN-Soldaten das Geschehen. Rund 1000 deutsche Soldaten sind Teil der UN-Mission zur Friedenssicherung in Mali – der zweitgrößte Einsatz der Bundeswehr neben der NATO-Mission in Afghanistan. Eine Seltenheit sind deutsche Truppen auf UN-Mission nicht mehr, seit 2015 ist die Zahl noch einmal ordentlich gestiegen.

Die Politik der “Neuen Verantwortung”

Dabei hatte Deutschland im vergangenen Jahrhundert auf der außenpolitischen Bühne einen katastrophalen Ruf. Mit der Kriegsschuld für den Ersten und Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland gleich zweimal in einem Jahrhundert die Welt in den Abgrund getrieben.

Es folgten Jahrzehnte der verteidigungspolitischen Zurückhaltung. Mittlerweile ist Deutschland aber die größte Wirtschaftsmacht Europas und die Bundesrepublik Deutschland will, mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, „Verantwortung übernehmen“[1] – so lautet seit einigen Jahren das Mantra deutscher Außenpolitik. Gemeint ist damit, diplomatische, militärische und wirtschaftliche Kraft der internationalen Gemeinschaft zur Friedensstiftung zur Verfügung zu stellen. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag wird eine „neue Kultur der Verantwortung“ beschworen. Wird Deutschland diesem Anspruch gerecht?

Konkret soll diese Verantwortung, so die Bundesregierung, auf verschiedene Arten und Weisen wahrgenommen werden. Ab Januar 2019 wird Deutschland nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat sein. In absoluten Zahlen ist Deutschland weltweit einer größten Partnerstaaten in der Entwicklungszusammenarbeit. Bei Naturkatastrophen etwa entsendet das Technische Hilfswerk (THW) regelmäßig Experten in alle Welt.

Die Krise der UN in den 1990er Jahren

Ein weiteres Feld internationaler Verantwortung sind UN-Friedensmissionen. UN-Missionen werden auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats eingerichtet und haben das Ziel, innerhalb eines klar bestimmten Mandates den Frieden in einem Land herzustellen, zu wahren, oder zu festigen. Hält Deutschland hier sein Versprechen, international Verantwortung zu übernehmen?

Grundsätzlich schwanken die Gesamtzahlen der Soldatinnen und Soldaten in UN-Einsätzen seit 1993 stark. Damals scheiterte die UN-Mission in Somalia und führte zum Tod von 19 UN-Soldaten und schätzungsweise 2000 somalischen Bürgern. Nur ein Jahr später konnte der schwach ausgestattete Blauhelm-Einsatz UNAMIR den Völkermord in Ruanda nicht verhindern, obwohl der leitende General wiederholt davor gewarnt hatte. Friedensmissionen schienen ausgedient zu haben: Zwischen 1994 und 1999 wurden wenige neue Truppen entsandt.

Im April 1994 war er Leiter der „UN Peacekeeping Operations“, drei Jahre später wurde Kofi Annan Generalsekretär der UN. Unter seiner Führung begann eine neue Debatte um internationale Verantwortung, das Konzept einer „Schutzverantwortung“ wurde ab 2000 entwickelt und in den Auftrag der Friedensmissionen eingebaut. Intervention konnte früher erfolgen, die Kriterien wurden klarer definiert und der Auftrag hieß fortan nicht mehr nur, Grenzen zu sichern oder unmittelbare humanitäre Hilfe zu gewährleisten, sondern auch Aufnahme komplexer ziviler und polizeilicher Aufgaben. Ab 2003 stiegen die Zahlen der Einsätze erneut. Die Mission in Liberia (UNMIL, seit 2003) zählte zeitweise etwa 16.000 Blauhelme, MINUSTAH in Haiti (2004–2017) etwa 12.000.

Deutschland trägt zu mehr Missionen bei, als je zuvor

Heute gibt es fünf große Missionen, die sowohl militärische als auch polizeiliche Aufgaben in erheblichem Umfang wahrnehmen, allesamt in Subsahara-Afrika: in der DR Kongo, dem Südsudan, in Mali, der Zentralafrikanischen Republik, und in Darfur (Sudan).

Wie hat sich Deutschland also an diesen Phasen der Friedenssicherung beteiligt? In relativen Zahlen stellte Deutschland seit 1993 zwischen 0 und 2.5% aller Blauhelme. Der Höhepunkt im Jahr 1999 ergab sich einerseits aus der erheblichen Beteiligung an den Missionen im Balkan (Kosovo und Bosnien-Herzegovina), andererseits an der geringen absoluten Zahl an Blauhelmen weltweit. Heute stellt Deutschland knapp 1% aller Blauhelme, hauptsächlich durch die Mali-Mission MINUSMA seit 2013.

Deutsche Truppen, Polizistinnen und Polizisten, sowie Expertenpersonal sind derzeit in acht weiteren UN-Missionen im Einsatz. Damit ist Deutschland an 41% der weltweit 22 Einsätzen beteiligt. Seit der Debatte um das gestiegene Verantwortungsbewusstsein 2013/2014 hat der Anteil von deutschem Personal am Friedensprogramm der Vereinten Nationen also tatsächlich zugenommen. 2016 und 2017 trug Deutschland zu mehr UN-Missionen bei, als je zuvor.

Dennoch: der deutsche Beitrag zum Weltfrieden durch die UN lässt sich nur bedingt in der Truppenstärke messen. Laut Koalitionsvertrag möchte Deutschland vor allem „Hochwertfähigkeiten“ zur UN-Friedenssicherung beitragen, zum Beispiel Aufklärung, Luftbetankung oder medizinische Evakuierungen.

Zurück in Mali. Die erste Runde der Präsidentschaftswahl wurde von Angriffen im Norden durch al-Qaida-Anhänger überschattet. Etwa drei Prozent der Wahlbüros mussten wegen anhaltender Gewalt geschlossen werden. Dennoch soll in gut zwei Wochen die zweite Runde durchgeführt werden. Die Lage ist angespannt – aber dass die Wahlen überhaupt stattfinden ist sicher auch der UN-Mission unter deutscher Beteiligung zu verdanken.


[1] s. auch die Diskussion zwischen StS Stephan Steinlein und Prof. Gunther Hellmann zum Wandel des Begriffs der „Verantwortung“ in der deutschen Außenpolitik (2014)

Foto: MONUSCO/Michael Ali via FlickrCC BY-SA 2.0