Lösen die Parteien bisher ihr Versprechen ein, der AfD mit den Mitteln der parlamentarischen Demokratie Paroli zu bieten? Eine Analyse der Zwischenfragen zeigt: Nein – mit Ausnahme der Grünen.

„Wir werden die AfD in den Parlamenten stellen.“ Diese Ankündigung vereinte in den letzten Jahren die deutschen Parteien von rechts bis links. Linken-Vorsitzender Bernd Riexinger, der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), sowie Vertreter der Grünen wiederholten diesen Satz.

Das Versprechen machte nach der Bundestagswahl im September 2017 erneut die Runde. Mit der AfD zog zum ersten Mal seit 1961 eine Fraktion rechts der Union in den Bundestag ein. Viele Abgeordnete anderer Parteien beschrieben es als Teil ihres demokratischen Auftrags, die Parlamentarier der AfD im Bundestag zu stellen – also problematische Äußerungen anzuprangern, falsche Statistiken oder Schuldzuweisungen zu korrigieren und das Weltverständnis der AfD durch kritische Fragen auszuhöhlen. Explizit formulierten sie das Ziel, die AfD auf der Bühne des Plenarsaals im Bundestag zu stellen – vor den Augen der Öffentlichkeit, damit der Wähler bei der nächsten Wahl ein anderes Bild der AfD habe.

AfD stellt überproportional viele Zwischenfragen

Ende dieser Woche beginnt die Sommerpause für die Bundestagsabgeordneten. Wurden die Parteien ihrem Anspruch gerecht, der AfD Paroli zu bieten? Eine Antwort auf diese Frage ergibt eine Auswertung der Zwischenfragen in den Sitzungen des Bundestages.

Prinzipiell kann sich in einer Aussprache im Parlament jeder Abgeordnete während eines Redebeitrags zu einer Zwischenfrage melden. Wenn der Sitzungsleiter – der amtierende Bundestagspräsident – die Frage zulässt ist eine kurze und präzise Nachfrage zum Verhandlungsgegenstand erlaubt. In der Praxis wird das Mittel der Zwischenfrage nicht genutzt um Verständnisfragen zu klären, sondern um in der Sache kritisch nachzufragen und wunde Punkte in der Argumentation des Redners offenzulegen. Im Untersuchungszeitraum von 40 Sitzungstagen wurden 326 Zwischenfragen gestellt.

Im Bundestag herrscht, auch mit der AfD, ein klares Rollenverständnis: Die Opposition überwacht mit ihren parlamentarischen Mitteln (etwa mit der Zwischenfrage) die Arbeit der Regierung – nicht andersherum. Üblicherweise stellen Oppositionsparteien deswegen mehrheitlich Fragen an Redner der Regierung. Es ist also wenig verwunderlich, dass auch die AfD sich während Redebeiträgen der Bundesregierung häufiger für Zwischenfragen meldet, als sie umgekehrt Fragen von SPD und CDU/CSU gestellt bekommt.

Trotzdem fällt auf: Mit ungewöhnlich vielen Zwischenfragen treten die Abgeordneten der AfD bei Redebeiträgen aus den Regierungsfraktionen immer wieder in Erscheinung. Die Abgeordneten der Regierungsparteien hingegen haben bisher weitgehend auf Zwischenfragen an die AfD verzichtet.

Noch auffälliger ist aber ein Vergleich innerhalb der Oppositionsparteien. Hier stellt die AfD anderen Oppositionsrednern doppelt so häufig Fragen, wie sie selbst von FDP, Grünen und Linken befragt wird.

Einerseits liegt dieses Missverhältnis wieder in den ungewöhnlich vielen Zwischenfragen begründet, die AfD-Abgeordnete stellen – an Regierung wie Opposition. Die Partei scheint ihre Rolle als Oppositionsführung umzudeuten: Sie führt nicht die Opposition gegen die Regierung, sondern gegen alle – auch andere Oppositionsparteien.

Dieses Ergebnis zeigt auch, wie wenig die anderen Oppositionsparteien ihrem eigenen Anspruch gerecht werden: Sie stellen die AfD nicht, sie werden von der AfD gestellt.

Nicht alle Oppositionsfraktionen schneiden dabei gleich schlecht ab. Während die Linke seit Oktober 2017 (dem Beginn der Legislaturperiode) der AfD ganze zwei Zwischenfragen gestellt hat, waren es 14 von den Grünen – in etwa die Hälfte aller Zwischenfragen, die der AfD gestellt wurden. Seit Beginn der Legislaturperiode stellten Abgeordnete der AfD genauso viele Fragen bei Redebeiträgen der Grünen. Blickt man auf die Zwischenfragen scheinen die Grünen also, trotz ihrer Position als kleinste Oppositionspartei, dem eigenen Anspruch die AfD im Parlament zu stellen am ehesten gerecht zu werden.

Opposition gegen alle

Zwischenfragen sind natürlich nur eine Metrik, um ein ‚Stellen‘ der AfD zu messen. Im ‚Arbeitsparlament‘ Bundestag bilden sie nur einen Teil der Interaktionen zwischen Abgeordneten ab. Gleichzeitig sind sie aber auch das einzige inhaltliche Mittel der Abgeordneten um Redner ins Straucheln zu bringen. Sie bieten nicht nur die Möglichkeit durch eine kritische Nachfrage inhaltlichen Widerspruch auszudrücken, sondern ermöglichen es auch falsche Statistiken und entgleiste Rhetorik sofort in der Öffentlichkeit des Plenarsaales klarzustellen–nicht erst durch Pressemitteilungen und Kommentare im Nachhinein.

Die AfD nutzt Zwischenfragen geschickt und häufig um ihrer ‚Opposition gegen Alle‘ eine Bühne zu bieten. Die Regierungsfraktionen und weite Teile der Opposition hingegen scheinen bisher – zumindest in dieser Metrik – ihr Versprechen nicht einzulösen.


Foto: © Deutscher Bundestag / Achim Melde

Die Ergebnisse stammen aus einer eigenen Auswertung der Protokolle der 1.–40. Bundestagssitzungen der 19. Wahlperiode (24.10.2017–15.06.2018; Parlamentsdokumentation).

Eine Zwischenfrage wurde verzeichnet, wenn (1) der Begriff „Zwischenfrage“ ausdrücklich erwähnt wird, (2) der amtierenden Bundestagspräsident (d.h. die Sitzungsleitung) das redende Mitglied des Bundestages fragt, ob er oder sie die Frage annimmt und (3) wenn die Fraktion des/der Fragenden feststellbar ist. 

Im o.g. Zeitraum wurden 326 Zwischenfragen gestellt, von welchen 207 (63%) angenommen wurden.

Fraktionslose Abgeordnete bei Grafik „Faire Lastenverteilung?“ ausgenommen.