Im Oktober stehen mit Bayern und Hessen gleich zwei Landtagswahlen an. Bisher wird die Wahl in Hessen von Medien und Öffentlichkeit stiefmütterlich behandelt, während alles  nach Bayern blickt. Dafür gibt es manche guten Gründe. Dennoch haben Horst Seehofer und die CSU Bayern zum politischen Scheinriesen gemacht, denn die Wahl des Wiesbadener Landtags ist  ein ebenso wichtiger Stimmungs- und Koalitionstest für die Bundespolitik.

Nach der Obergrenzen-Diskussion ist vor dem Maaßen-Eklat: Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat unzweifelhaft den deutschen politischen Diskurs der letzten Monate dominiert. Die Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober ist immer mehr in den Fokus gerückt, auch weil sie von Politikern zum Scheideweg der bundesdeutschen Politik stilisiert wird: CSU-Generalsekretär Markus Blume spricht, genau wie AfD-Politiker Björn Höcke und Freie-Wähler Politiker Roland Weigert, von einer „Schicksalswahl“ für Deutschland.

Alle Augen auf München

Dabei geht manchmal unter, dass nur zwei Wochen später in Hessen gewählt wird – eine Landtagswahl, die, fände sie nicht kurz nach der Bayernwahl statt, wahrscheinlich ebenfalls große Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Doch statt zweier entscheidender Wahltermine dreht sich die politische Debatte bisher fast nur um die Zukunft des Freistaats.

Zum Teil liegt das natürlich daran, dass die Bayern zwei Wochen vor den Hessen wählen werden. Daten zu Google-Suchanfragen können Aufschluss über die relative Prominenz verschiedener Themen geben. Anfang Juni, ziemlich genau 120 Tage vor der Bayernwahl, begannen immer mehr Bürger online nach der Wahl zu suchen.

Das blieb im Fall Hessens fast gänzlich aus: erst vor wenigen Wochen begann das Interesse zu steigen, bei weitem aber nicht auf das gleiche Niveau wie bei den Bayern. Die Medien griffen diese Stimmung bereits auf: Einzelne Sendungen, etwa der Presseclub in der ARD, widmeten sich vollständig der Bayernwahl. Ähnliche Formate für die Hessenwahl sind bisher noch nicht angekündigt.

Dieser Schwerpunkt zeigt sich auch in den sozialen Netzwerken: Auf Twitter wird sehr viel mehr über Bayern als über Hessen gezwitschert. Dabei zeigen sich auch einzelne Hashtag-Favoriten. Wer etwa nach #ltwbayern sucht, findet fast nur Tweets der AfD und ihrer Kandidaten. Der Hashtag #ltwby wird zwar weniger genutzt, dafür aber auch vor allem von Pressevertretern und offiziellen Stellen. Häufig werden beide in Verbindung mit Innenminister Seehofer genutzt.

Sonderfall Bayern, Stimmungstest Hessen

Ein erster Grund liegt vermutlich in den unmittelbar greifbaren Unterschieden im direkten Vergleich der beiden Bundesländer. Hessen beherbergt nur knapp halb so viele Bundestagswahlkreise (22 statt 46), hat halb so viele Einwohner (6,2 statt 13 Millionen) und auch einen deutlich geringeren Landeshaushalt.

Zweitens spiegelt die Fokussierung die Ausgangslage wieder, die die großen Umfrageinstitute vor den beiden Landtagswahlen zeigen: Diese sehen die CSU im Schnitt bei rund 36%, also deutlich unter den 47.7%, die die Partei 2013 mit Seehofer als Spitzenkandidat holen konnte. Zulegen konnten die Grünen von 8.6% auf etwa doppelt so viel. Und auch die AfD liegt mit 12.5% derzeit vor der SPD. Wie eine Regierungskonstellation aussehen könnte, bleibt unklar: Für eine alleinige CSU-Regierung reicht es wahrscheinlich nicht mehr.

Zuletzt liegt die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit auf Bayern sicherlich auch in Horst Seehofers prominenter und provokativer Rolle in der Bundespolitik der letzten Monate begründet. Von Shitstorms über das „Heimatministerium“, den von Querelen um Ankerzentren bestimmten Sommer inklusive des offenen Streits mit Bundeskanzlerin Merkel bis hin zur Causa Hans-Georg Maaßen: Der Innenminister zieht viel Aufmerksamkeit auf sich und seine CSU. Immer wieder wird konstatiert, es handele sich hier bei um einen ausgeweiteten bayerischen Wahlkampf.

Die Umfragekonstellationen und der reine ökonomische „Gewichtsvergleich“ mögen die Aufmerksamkeit auf Bayern rechtfertigen. Dennoch hat dieser letzte Effekt Bayern, gerade in den vergangenen Wochen, bundespolitisch etwas zum Scheinriesen gemacht. In Hessen liegen CDU und SPD vergleichsweise nah aneinander: Während Volker Bouffiers CDU noch mit rund 30% führt, liegen die Sozialdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel bei knapp 24%. Für die Frankfurter Rundschau steht fest: Das Rennen zwischen der CDU und einer SPD-geführten Koalition mit Grünen und Linken wird „knapp, verdammt knapp“.

Besonders gespannt schauen Beobachter auf die Grünen: Sollte es keine große Koalition geben, werden sie für jede Regierungskonstellation gebraucht. Die Umfragewerte und letztendlich Mehrheitsverhältnisse sind somit näher an denen der Bundespolitik, als die Stimmung in Bayern. Außerdem handelt es sich auch um eine Abstimmung über die erste schwarz-grüne Regierung in einem Flächenland. Deshalb kann die Wahl des Wiesbadener Landtags auch ein wichtiger Stimmungs- und Koalitionstest für die Bundespolitik werden.

Beide Länder sind bundespolitische Schwergewichte

Und was in Hessen passiert, hat historisch große Bedeutung, denn die Länder sind bundespolitische Schwergewichte. Vergleicht man die Zahl der Bundesminister mit der Einwohnerzahl der Länder ist kein Bundesland in den Bundesregierungen seit 1991 so überrepräsentiert wie Hessen. Selbst Bayern stellte proportional weniger Minister auf Bundesebene, als das kleinere Hessen. Vor 2000 waren das in den meisten Fällen Minister der CDU. Manfred Kanther etwa, der 17 Jahre lang Landesgeschäftsführer der CDU Hessen war, sogar noch während er das Amt des Innenministers unter Helmut Kohl von 1993 bis 2000 bekleidete.

Nach der CDU-Spendenaffäre 2000, die besonders die CDU in Hessen betraf, sank nach diesem Maß der Einfluss der Landespartei auf Bundesebene ein wenig. Dafür wurden nun hessische Politiker anderer Parteien Minister: Joschka Fischer (Grüne) und Brigitte Zypries (SPD) zum Beispiel.

So wichtig die Wahl in Bayern wird: Der hessischen Landtagswahl kommt deshalb auch bundesweit eine wichtige Rolle zu. Es bleibt abzuwarten, ob das Interesse an der Wahl in den verbleibenden vier Wochen noch steigt. Entscheidend wird dafür sicher einerseits, inwiefern Horst Seehofer, Markus Söder und die CSU in den letzten Wochen des Wahlkampfes in Bayern bundespolitisch weiterhin für Aufruhr sorgen, oder auf ruhigeres Fahrwasser setzen. Andererseits könnte sich aber auch die Erkenntnis breitmachen, dass auch die Ergebnisse der Bayernwahl nicht wirklich über das „Schicksal“ der Union oder der Großen Koalition entscheiden.

Bayern und Hessen sind wichtige Landtagswahlen. Gleichzeitig zeigt der aktuelle Fokus auf Bayern, warum das Beschwören von „Schicksalswahlen“ so kurzsichtig ist. Es reicht gedanklich nur bis zum nächsten Wahltermin, nicht einmal zwei Wochen darüber hinaus. Wenn also wieder einmal „Schicksal“ beschworen wird, gilt es im Kopf zu behalten: Nach der Schicksalswahl ist vor der Schicksalswahl.

Der einfache Dienst wird die beiden Wahlen in Hessen und Bayern weiterhin begleiten, mit unseren Trackern für Bayern und Hessen, sowie mit Hintergrundgeschichten.


[1] Gleitender Mittelwert aller Sonntagsfragen der letzten 60 Tage

Foto: Gregor Fischer via Flickr, CC BY-ND 2.0